Di, 28. Feb 2017

Die 90er sind zurück - Torment: Tides of Numenera Review

Wer wünscht sich nicht die Zeiten zurück, als man sich in RPGs durch nicht enden wollende Dialoge geklickt hat? Hat Torment: Tides of Numenera mehr zu bieten als Nostalgie?

Die goldene Ära der RPGs in den 90ern brachte einige berühmte Titel, die auf der Infinity Engine basierten, hervor. Planescape: Torment war einer davon, und unterschied sich von Baldur’s Gate und Icewind Dale vor allem dadurch, dass die Welt und die Charaktere darin vollkommen absurd, aber doch glaubhaft waren. Lange Dialogsequenzen waren damals Genrestandard, aber Planescape: Torment setzte noch eins drauf und machte so gut wie alle Probleme durch geschickte Gesprächsoptionen lösbar. Wer nicht kämpfen wollte, musste es nur selten. In Torment: Tides of Numenera wird dieses Prinzip weitergeführt.

Die undurchschaubare Charaktererstellung. Das Aussehen steht bis auf das Geschlecht fest.

Die seltsame Welt von Torment: Tides of Numenera

Doch zuerst fällt man einmal vom Himmel. Vor praktisch unendlicher Zeit war es einem Mann gelungen, Unsterblichkeit zu erlangen, indem er seinen Geist in ständig neue Körper übertrug. Doch die zurückgebliebenen Hüllen erwachten erneut. Der Spielercharakter ist eine dieser Hüllen, die aktuell letzte, um genau zu sein. Und nun fällt man also tausende von Metern in die Tiefe und kracht unzeremoniell durch einen Glasdom. Man erwacht in einer seltsamen Welt, die sich als der eigene Geist herausstellt. Bei weitem nicht der seltsamste Ort, an dem man im Lauf der Handlung landen wird. Generell sieht die Welt, in der Fantasy und Science-Fiction verschmolzen sind, wunderschön fremd aus, das erschwert teilweise aber auch das Zurechtfinden.

So sieht es im eigenen Kopf aus.

Nach einigen verwirrenden Ereignissen geht es zur Charaktererstellung, die man ohne Guide wohl kaum verstehen wird. Man wird überflutet von den verschiedenen Systemen, die den eigenen Charakter ausmachen, und bekommt keinerlei Hilfestellung wie sich manche Sachen im Spiel auswirken. Auch nach mehrstündigem Spielen war nur grob auszumachen, ob sich die Investition meiner Punkte wirklich ausgezahlt hatte.

Das Hauptsystem sind die drei Pools (Macht, Geschwindigkeit und Intellekt) neben dem Profil, im obigen Bild links unten zu sehen. Diese werden eingesetzt, um die Chancen aller (ja, aller) Aktionen zu erhöhen, ob Kampf, Dialog, Diebstahl oder Aufbrechen. Sie erholen sich wie HP beim Schlafen. Die Chance auf einen Erfolg hängt von den Skillpunkten ab, sowie der Anzahl an Punkten, die man für eine Aktion aufwenden möchte. Skilllevel, Poolgröße oder maximale Investition sind dann wieder Dinge, die man durch Level steigern kann. Normalerweise kann jedes Partymitglied die eigenen Punkte für jede beliebige Aktion aufwenden, wenn man etwa jemanden im Team hat, der gut lügt, so lässt man ihn natürlich reden. Manchmal wird man allerdings mitten in einer Situation auf die Pools des Hauptcharakters beschränkt, was zu offensichtlichen Problemen führen kann, wenn man sie etwa erschöpft hat, oder nicht genug in die gefragte Fähigkeit investiert hat.

Im Kampf kann jeder Angriff verstärkt werden, wobei die Punkte sowohl Trefferwahrscheinlichkeit als auch Schaden erhöhen. Allerdings empfehle ich, Kämpfe nach Möglichkeit zu vermeiden. Das rundenbasierte Kampfsystem ist nicht gerade übersichtlich, die Animationen dauern ewig und die Gegnerzüge noch länger. Geht einem der Pool, den man für die aktuelle Waffe braucht, aus geht die Trefferwahrscheinlichkeit gleichzeitig mit dem Schaden flöten. Stattdessen könnte man das Problem einfach durch ein paar Mausklicks, und in einem Bruchteil der Zeit, gewaltfrei lösen.

Torment: Tides of Numenera Story
Immerhin gibt es Variation bei den langen Textpassagen.

Dialoge und Konsequenzen

Wie schon erwähnt ist man nicht alleine unterwegs, eine Mischung aus wahren Persönlichkeiten steht zur Auswahl, bis zu drei kann man mitnehmen. Jeder hat eine eigene Geschichte zu erzählen, und sie alle sind großteils sehr sympathisch. Wie schon in Planescape: Torment nehmen die Gruppenmitglieder aber nicht alles hin und verlassen die Gruppe, wenn ihnen etwas nicht passt.

Die meiste Zeit wird man sich lange und ausführliche Texte durchlesen, und versuchen, sich so viel zu merken wie möglich, denn eine Hilfestellung gibt es nicht. Weiß man einmal nicht weiter so spricht man einfach so lange jeden Charakter an, bis man durch Zufall jemanden findet, der einem weiterhelfen kann. Es ist durchaus interessant, aber auf Dauer auch anstrengend, in der Welt von Torment: Tides of Numenera abzutauchen. Viele Quests haben mehrere Zugänge, die man beim ersten Anlauf leicht übersieht. Gerade wenn man eine bestimmte Art von Charakter verkörpern möchte, etwa jemanden, der immer nett und freundlich ist, kann man sich selbst ein wenig den Weg verbauen.

Zusätzlich zu den direkten Folgen mancher Dialogoptionen gibt es noch die titelgebenden Tides, die ebenfalls durch Entscheidungen beeinflusst werden. Sie formen im Hintergrund, wie der Hauptcharakter auf andere wirkt.

Die Handlung ist anfangs vor allem eines: schwer zu finden. Dadurch, dass man immer alle NPCs abklappern muss, nimmt man schnell viele Quests an, und die Hauptquest hebt sich nur dadurch hervor, dass sie als solche im Questlog eingetragen ist. Auch sind die Level derart vollgepackt mit allem möglichen, dass man schnell einmal den Überblick verliert. Zusätzlich werden so viele Charaktere und Hintergründe präsentiert, dass ich fast Notizen machen musste. Sobald man sich allerdings an die Welt gewöhnt hat ergibt alles ein stimmiges Gesamtbild.

Fazit

Wer die Zeiten der alten RPGs vermisst wird hier auf jeden Fall glücklich. So unspektakulär das ganze Spiel (also, die Textboxen) auch in Szene gesetzt ist, die Welt, die Geschichte und die Charaktere sind faszinierend genug um einen zu fesseln. Wer nicht alles lesen will sollte sich den Kauf allerdings stark überlegen, daran führt kein Weg vorbei.

Getestet wurde die PC-Version.

— Christian Novotny
Bewertung

Urteil + Unglaublich einfallsreich + Viele Wege und Entscheidungen +/- Viel zu lesen +/- Retro-Look - Etwas hakelige Steuerung - Fades Kampfsystem
Alles in Allem Great