Do, 17. Dez 2009

REVIEW Ace Frehley: Ace Is Back And He Told You So!

158 Tage, bevor seine ehemaligen Lohnverrechner die ausverkaufte Wiener Stadthalle heimsuchen werden, hat VOLUME Ace Frehley in München besucht. Ein Gig eines ehemaligen NYC-Yellow-Cab-Taxlers im intimen Rahmen. Wer Ace Frehley ist? Hauptberuflich Gitarrengott und Inspiration für Leute wie Josh Homme, Kirk Hammett oder Trent Reznor. Nebenberuflich der Peter Doherty der 70er und: die verlorene Seele von KISS. Ja, KISS.

 

Paul Daniel Frehley war einmal Taxifahrer in New York City. So um 1973. Ein sehr, sehr schlichter Bub, der außer Taxifahren vor allem eins ganz gut konnte: Gitarre spielen. Irgendwann im Jahr 1973 hat er bei zwei Typen vorgespielt, die auch ein paar Talente hatten: Eugene Klein, ein Aushilfslehrer, hatte das Talent, ein riesengroßes Arschloch zu sein, gemischt mit einer höllischen Mixtur aus Charme und Business-Denken. Der andere war Stanley Eisen, ein Kumpel von Eugene. Mister Eisen konnte zwar nicht richtig Gitarre spielen, hatte aber das gewisse Gefühl für Melodien und Songwriting. Und zwar zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Paul Daniel Frehley spielte nun also bei den beiden vor und wurde als Leadgitarrist engagiert.

 

Bei einer Band namens KISS. Fortan hieß Herr Klein Gene Simmons, Herr Eisen nannte sich Paul Stanley, und Paul Daniel Frehley machte die verheerendste Wandlung seines künftigen Lebens durch: Er war nun Ace Frehley. Dann kam die Schminke und den Rest des KISS-Wahnsinns liest Du, lieber Leser, am besten auf wikipedia nach. Erstens bräuchte das hier zuviel Platz und zweitens würde mich Gene Simmons aus unerfindlichen Gründen wahrscheinlich auf  700 Millionen Dollar verklagen, wenn ich was Falsches schreib. Und als Vertragsklausel gleich dazu mit meiner Freundin und ihrer besten Freundin schlafen wollen. Das lassen wir also lieber.

 

Im Prinzip ist Ace Frehley eine arme Sau. Er wurde von KISS gleich dreimal rausgeschmissen. Aber nur beim ersten Mal war es wirklich gerechtfertigt. Man muss dazu wissen, dass KISS schon von Beginn an (also Mitte 70er) den Rock’N’Roll, wie man ihn sich landläufig vorstellt (Sex, Drogen, Alkohol, Titten) als Marketing-Idee betrieben haben. Gene Simmons war glaubhaft noch nie besoffen (ernsthaft), hat sicherlich NICHT mit den angegebenen vierhunderttausend Frauen geschlafen (ok, das hab ich jetzt überzeichnet, aber Mr. Simmons würd die Zahl gefallen, sogar ohne Klage), und inwieweit Mädchen in Paul Stanley’s Sexleben eine Rolle spielen….dazu sag ich lieber nix. Wegen den KISS-Anwälten, you know. Das ist aber auch OK so: KISS sind die größte Dollardruckmaschine der Musikgeschichte, haben eine Merchandising-Abteilung, über die sich sogar Jesus freuen würde (Simmons steht laut Gerüchten eh schon seit „The Elder“ in Kontakt mit ihm), haben den größten und gleichzeitig meist-verarschten Fanclub der Welt hinter sich (die KISS-Army. Der Autor ist Mitglied, Anm.) und einen Riesenvorteil: KISS ist das alles tatsächlich auch wert. Alles. Und ich weiß nicht einmal, warum. Ich brauch diese Band einfach ganz dringend.

 

Bloß: Ace Frehley wusste davon nie was. Der wollte rocken und sonst nichts. Das erste Mal ist er Anfang der 80er rausgeflogen. Wegen Alkohol, Drogen, full range. Bis heute hält sich die Mär vom berühmten „Ace Frehley-Mix“: Ein Halbmeter-hohes Glas, darin Hälfte Rotwein, Hälfte Bier. Der Autor hat’s in seinen Teenie-Jahren bei Parties stets ausprobiert – immer mit dem gleichen Erfolg: Nach einem Doppelliter wacht man am nächsten Tag allein in einem Maisfeld zwei Kilometer von der Party entfernt auf.

 

Während Frehley also im Moloch herumsumperte, hatten sich KISS 1983 abgeschminkt, teilweise wirre Gitarristen engagiert (Vinnie Vincent, wer ihn kennt) und sich dem 80er-Sound recht erfolgreich angebiedert. Ace hat derweil getrunken und teure Autos kaputt gemacht.

 

Dann kam 1996: Wahrscheinlich, weil Simmons´ Kontostand von achtstellig auf siebenstellig fiel, dachte er: „Ich ruf mal den ang’soffenen Ace an und frag ihn, ob ich ihn noch einmal verarschen kann.“ Das Resultat: Die extrem erfolgreiche 96er-Reunion-Tour mit allen Originalmitgliedern. Inklusive Drummer Peter Criss. Auf den hier nicht näher eingegangen wird, weil dessen Story eh tragisch genug ist.

 

Ace fingerlte ’96 wie gewohnt hervorragend auf den großen Bühnen dieser Welt, aber der Alkohol war immer noch so eine Sache. Wir erraten ganz richtig: Wieder kurz gefeuert. Simmons und Stanley wollten 1998 aber aufgrund der erfolgreichen Tour ein Album aufnehmen. Ace wurde für das „Psycho Circus“-Album wieder engagiert. Im Endeffekt wurden sämtliche von ihm eingespielten Tonspuren aber gelöscht und durch jene von Gitarrenroadie (und aktuellem KISS-Gitarristen) Thommy Thayer ersetzt. Dumm gelaufen.

 

Ab dann war für Ace Frehley erst einmal Ruhe. Entzug, Entzug, noch einmal Entzug.

 

Sommer 2009: KISS bringen nach elf Jahren das erste Studio-Album seit „Psycho Circus“ raus. „Sonic Boom“ ist ein Kritiker-Flop par excellence (jeder Fan, der was anderes sagt, lügt oder hat Simmons’ Anwälte mit den dunklen Sonnenbrillen grad neben sich sitzen, die verdächtig in ihre verkabelten ohrlapperl flüstern). Wurscht: Fast zeitgleich schmeißt Ace Frehley sein Soloalbum namens „Anomaly“ auf den Markt. Ohne PR-Maschinerie und Werbung á la KISS verkauft es sich zwar nicht, zählt aber fraglos zu einem der besten Alben, das in der erweiterten KISS-Familie je passiert ist. Ace Frehley ist seit zwei Jahren trocken, beginnt die ungewohnt kitschige Nummer „A Little Below The Angel“ mit den Worten: „Alcohol was a friend of mine that almost got me dead. I crashed some cars…..“. Seine kleine Tochter singt den Refrain. Ace geht wieder auf Tour.

 

München, 13. Dezember 2009: Gerade einmal geschätzte 300 Leute sind in der „Tonhalle“ (übrigens die perfekteste Halle Mitteleuropas). Die meisten mit KISS-Shirts uniformiert, ein paar hardcorige in „Space Ace“-Makeup. Es gibt keinen Graben vor der Bühne, es ist ein Club-Gig, bei dem man Ace angreifen kann. In den gut eineinhalb Stunden wirft er gefühlte einhundert Guitar-Picks ins Publikum. Die Stimmung ist einzigartig, auf jeden Fall besser als bei einem überkandidelten KISS-Monstrums-Pyro-Scheißmichan-Oida-Konzert. Natürlich, das ist was völlig Anderes. Und nicht zu vergleichen. Aber hier und heute an diesem Tag sind ausschließlich Fans von jemandem da, der auch schon öfters vor einem 40.000er-Publikum gespielt hat. Und man hat das Gefühl, dass Paul Daniel Frehley dort angekommen ist, wo er sich am wohlsten fühlt: In einer Umgebung ohne Simmons-Verträge, in einer Umgebung, wo am Bühnenboden für die perfekte Choreographie keine Klebeband-Marker picken, an denen man zu einem bestimmten Zeitpunkt stehen muss, um von der Pyro nicht gegrillt zu werden.

 

Ace Frehley spielt ein Set, das nur so dampft vor Freude. Er grinst, lacht, scherzt mit dem Publikum und tuscht Solos in die Halle, das einem angesichts seines Fingerspeeds schlecht wird. Die „brennende“ Les Paul, alles gibt’s, super, ein Traum. Dazwischen sext er auch einmal „Statisfaction“ von den Stones an. Natürlich vor der Jagger/Richards-Nummer „2000 Man“. Eh klar sind auch viele KISS-Nummern dabei. No na. Aber gerade dann, wenn er zum Beispiel „Deuce“ oder „Parasite“ anreißt, wird einem erst bewusst, was KISS anno 2009 sind: Eine Band, die sich selber covert. Egal, ob da jetzt Simmons und Stanley noch die Chefs sind.

 

Den echten KISS-Spirit bekommt man heutzutage von Ace Frehley vor 300 Leuten. Die teure Mega-Version mit synchronisierten Darstellern gibt’s dann Ende Mai in der Stadthalle. VOLUME wird zu gebotener Zeit an gebotener Stelle nachfragen.